
Kufenkünstler
Elladj Baldé hat auf dem wilden Eis das gefunden, was er in seinen Wettkampfjahren als Eiskunstläufer immer gesucht hat – sich selbst.
Schneebedeckte Berge, kristallklares unberührtes Eis. Kufen gleiten über den gefrorenen See. Mitten in der eisigen Kälte ist Elladj Baldé komplett in seinem Element. Zu Hip-Hop Beats fährt er über das schier grenzenlose Eis und begeistert mit seinen Breakdance-Moves während der Pandemie Millionen von Menschen auf Social Media.
Auch der Filmemacher Mike Schwartz ist so auf ihn gestoßen: „Ich bin in Minnesota aufgewachsen, habe Hockey gespielt und bin im Winter draußen Eislaufen gewesen. Aber als ich ein Video von Elladj gesehen habe, war ich überwältigt. Zuerst mal von der Landschaft, davon träumt man ja als Eisläufer. Und zweitens, weil ich so fasziniert davon war, wie er sich auf dem Eis bewegt. Und da dachte ich: Ich will einen Film mit ihm zusammen machen.“

Elladj Baldé
Elladj verbrachte seine Kindheit und Jugend in der Eishalle und verpasste nur knapp die Nominierung für die Olympischen Spiele. 2018 beendete er seine professionelle Athleten-Karriere. Im Pandemiewinter 2020 veröffentlichte er Social Media Clips von sich auf gefrorenen Seen zu Hip-Hop Beats und Breakdance-Moves und ging damit viral. Seither arbeitet er bei internationalen Eiskunstlaufshows und hat gemeinsam mit seiner Frau Michelle Dawley die Organisation „Skate Global“ gegründet, die dazu beitragen soll Eiskunstlaufen diverser zu machen.
Elladj Baldé ist heute 34 und steckt schon seit seinem siebten Lebensjahr in Schlittschuhen. Er wurde in Moskau geboren. Seine Mutter ist Russin, sein Vater stammt aus Guinea. Im Alter von zwei Jahren wanderte er mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Schwestern nach Kanada aus und wächst in Montreal auf. In Kanada ist Eishockey Nationalsport. Und so schämt sich der junge Elladj eher für seinen Sport, anstatt stolz auf sich zu sein und versteckt seine Eiskunstlaufschuhe.
Über zehn Jahre hat er im Team Kanada an Eiskunstlauf-Wettkämpfen teilgenommen. Diese Zeit war geprägt von Training, finanziellem sowie mentalem Druck, diversen Verletzungen, großen Erwartungen und seinem Traum, einmal in seinem Leben an den Olympischen Spielen teilzunehmen: „Es gab eine Zeit, da wusste ich nicht mehr, wer ich bin. Ich hatte diese Idee, wie ich sein sollte, um in die Eiskunstlaufwelt reinzupassen. Aber das war ich einfach nicht. Ich bin in ein dunkles Loch gefallen. Warum mache ich das alles noch?"

Der Wendepunkt kam, als Elladj mit 24 Jahren mit seinem Vater nach Guinea reiste, um dort zum ersten Mal seine Familie zu besuchen. „Meine Verwandten leben dort sehr naturverbunden, mitten in den Bergen, ohne Strom und fließend Wasser. Ich habe dort zwei Wochen verbracht und die Dorfgemeinschaft ist enorm, eine Verbundenheit, die ich so vorher noch nie erlebt habe. Ab dem Punkt hat sich meine Beziehung zur Natur und zum Eiskunstlaufen verändert. Was wäre, wenn ich das tue, was ich am meisten liebe – aber auf meine Art und dann auch noch auf wildem Eis?“
Diese Idee wurde erst Wirklichkeit, nachdem Elladj seine Wettkampfkarriere beendet hatte und den Fotografen Paul Zizka kennenlernte, der ihm heute die besten Eis-Spots in den kanadischen Rocky Mountains zeigt und diese auf Sicherheit prüft. Der zugefrorene See, das erste Mal Eislaufen auf wildem Eis, all das zog Elladj sofort vollkommen in seinen Bann: „Ich hatte noch nie solches Eis gesehen und bin noch nie so eisgelaufen wie in diesem Moment. Da habe ich gemerkt – hier verändert sich gerade etwas für mich.“
Mit dem Filmemacher und Fotografen Mike Schwartz, der Elladj auf Social Media entdeckt hat, kehrt er dann eine Saison später für zwei Tage zum Lake Minnewanka zurück. Noch vor Sonnenaufgang stapfte das kleine Team auf den schneebedeckten See hinaus. Mike erinnert sich: „Wie sollen wir hier bitte Schlittschuhlaufen? Aber Elladj sagte: ,Oh nein, vertrau mir!‘ Und so liefen wir 20 bis 30 Minuten über den See bis wir schließlich diese wunderschöne Eisfläche erreichten. Da kickten die Endorphine und ich wusste: Das wird toll! Wir haben kurz darüber geredet, wie ich es mir vorstelle. Und dann kam alles sehr natürlich zusammen, ganz ohne Proben.“


Dreamteam
Filmemacher Mike Schwartz und Elladj beim Dreh auf dem Lake Minnewanka. Glücklicherweise war Mike früher Hockeyspieler. So konnte er Elladj flink auf dem Eis folgen und wunderschöne Bilder mit seiner Kamera einfangen.
Fragt man Elladj woher seine Faszination für das Eislaufen in der Natur kommt, muss er nicht lange überlegen: „Die Natur und das wilde Eis haben etwas an sich, das einen in die Gegenwart versetzt, egal was man gerade tut. Ich trage so viel Dankbarkeit in meinem Herzen, dass ich das Privileg habe, in so einer Umgebung eislaufen zu dürfen.“
Was Mike auf dem Eis festhält, ist vor allem die Freiheit, die Elladj nach seinem Abschied vom klassischen Eiskunstlauf gefunden hat. „Für mich geht es darum, alle Rollen und Grenzen, an die ich gewöhnt bin, völlig loszulassen“, sagt Elladj. „Es geht darum, zu spüren, wie es wirklich ist, auf dem Eis frei zu sein.“
Mit dem klassischen Eiskunstlauf hat er allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen: Elladj ist es wichtig, dass dieser Sport nicht weiß und elitär bleibt, sondern vielfältiger wird. Dafür engagiert er sich mit seiner Organisation „Skate Global“, die nicht-weiße Nachwuchseiskunstläufer:innen finanziell unterstützt und ihnen den Zugang zum Eiskunstlauf ermöglicht.


Der Backflip
Jahrelang war Elladj Baldé „der Typ mit den Backflips“. Es war sein Standard-Trick, den er seit seinem 15. Lebensjahr beherrschte und über den er sich als Eiskunstläufer definierte. Inzwischen hat er den Trick aber aus seinem Repertoire gestrichen: „Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass mein Körper älter wird. Backflips zu machen, tut mir im Moment nicht gut, weil ich danach drei Tage nicht laufen kann.“ Eine Erkenntnis, die ihm nicht leichtfiel: „Vor ein paar Jahren war ich schon einmal in einer ähnlichen Situation. Damals habe ich die Idee losgelassen, Olympionike sein zu müssen. Jetzt muss ich den Glaubenssatz loslassen, dass ich ein schlechter Eiskunstläufer bin, nur weil ich bestimmte Tricks nicht mehr kann.“
Der Backflip war 48 Jahre lang im kompetitiven Eiskunstlauf verboten. Er wurde zwar in Eiskunstlaufshows gezeigt, aber nicht bei offiziellen Wettbewerben. 2024 hat die ISU (International Skating Union) den Backflip offiziell wieder bei Wettkämpfen erlaubt.
